Pressemitteilung NABU Münster und BUND Münster vom 23. Februar 2021

Positive Halbzeitbilanz der Volksinitiative Artenvielfalt: Schon mehr als 70.000 Unterschriften gesammelt

Trotz großer Beschränkungen der Aktivitäten durch die Corona-Pandemie wurde die formale Hürde von mindestens 66.000 Unterschriften schon jetzt genommen. Bis Juni 2021 wird noch weiter gesammelt.


Am 03. Februar 2021 haben die drei großen NRW-Naturschutzverbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt NRW (LNU) und Naturschutzbund Deutschland (NABU) eine positive Halbzeitbilanz der am 23. Juli 2020 gestarteten Volksinitiative Artenvielfalt NRW gezogen. Trotz großer Beschränkungen der Aktivitäten durch die Corona-Pandemie wurde die formale Hürde von mindestens 66.000 Unterschriften schon jetzt genommen. Die Verbände kündigten an, bis Juni 2021 weiter zu sammeln und ihr Anliegen im Sommer förmlich in den NRW-Landtag einzubringen. Ziel ist es, die anhaltende Untätigkeit der Landesregierung in Handlungsfeldern wie dem Insektenschutz zu beenden und mehr Artenvielfalt zu ermöglichen.

Mit ihrer Volksinitiative unter dem Motto „Insekten retten – Artenschwund stoppen“ legen die Verbände in acht zentralen Handlungsfeldern konkrete Handlungsvorschläge zum Stopp des Artenschwunds und zur Förderung der biologischen Vielfalt in NRW vor. Ist die notwendige Anzahl an Unterschriften erreicht, muss sich der Landtag hiermit befassen.
„Bisher haben über 1300 Münsteranerinnen und Münsteraner mit ihrer Unterschrift der  Volksinitiative zum Erfolg verholfen“ freuen sich Ulrike Brockmann-Krabbe, BUND Münster, und Detlef Lobmeyer, 1. Vorsitzender NABU Münster, und ergänzen direkt „Das sind noch weniger als 1% der stimmberechtigten EinwohnerInnen. Wir wollen eine deutlichere Zustimmung zum Artenschutz und werden weiter Unterschriften sammeln.“ Unter https://artenvielfalt-nrw.de/ gibt es weitere Informationen und Unterschriftlisten zum Herunterladen und Drucken. Sie müssen bis Ende Mai 2021  an die Volksinitiative Artenvielfalt NRW in Düsseldorf gesendet werden, können aber auch in den Briefkasten des münsterschen Umwelthauses, Zumsandestraße 15, eingeworfen werden. Online kann leider nicht abgestimmt werden.
Mit ihren Unterschriften verleihen die Bürger den Forderungen der Naturschutzverbände Nachdruck. Die bislang in punkto Artenschutz eher schwerfällige Landesregierung wird veranlasst, sich konkret mit den angegebenen Handlungsfeldern und Forderungen zu befassen und so den Schutz der Arten nachhaltig voranzubringen.
Zusätzlich zur Unterschrift bei der Volksinitiative kann sich jeder Bürger aber auch in seinem Alltag gegen den Artenschwund und für den Artenschutz engagieren. Dazu gehört z. B. der Einkauf von Lebensmitteln aus regionaler, naturgemäßer Landwirtschaft, Verzicht auf unnötige Autofahrten und Engagement gegen zusätzliche Straßenbaumaßnahmen, Verzicht auf Schottergärten, Artenvielfalt im Garten zulassen, auf Spaziergängen die Natur respektieren, auf Wegen bleiben, Hecken- und Gehölzstrukturen nicht zertreten oder zerstören etc. Die Möglichkeiten sind vielfältig.

Konkrete Beispiele für den Artenschwund:
Der mit unserem Lebenswandel einher gehende Nutzungsdruck auf die Flächen ist eine wesentliche Ursache für die massiven Artenverluste. Die Intensivierung der Landwirtschaft die steigende Flächenversiegelung, Gewässerausbau oder die Zersiedelung der Landschaft durch Straßen- und Siedlungsbau etc. lassen immer weniger Raum für Insekten, Vögel und Co.

abgestürzt: 2003 noch 346 Kiebitzbruten in Münster, 2020 ganze 59 - Bild: NABU/Ludwichowski
abgestürzt: 2003 noch 346 Kiebitzbruten in Münster, 2020 ganze 59 - Bild: NABU/Ludwichowski

Der bundesweite Rückgang der Insekten (Biomasse) um 75% seit 1989 ist wissenschaftlich nachgewiesen. Im Handlungsfeld Landwirtschaft gibt es aber auch konkrete Zahlen für Münster. „Hier sind die Bestände von Vogelarten, die als Indikatoren für den ökologischen Gesamtzustand der Agrarlandschaft gelten, regelrecht zusammengebrochen. Gab es im Jahre 1997 noch 221 Feldlerchen-Brutpaare im Stadtgebiet, waren es 2020 nur noch etwa 10. Die Anzahl der Kiebitzbruten ging von 346 im Jahr 2003 auf 59 in 2020 zurück, bei äußerst geringem Bruterfolg“ berichtet Lobmeyer. „Die Ursachen dafür sind bekannt, konsequentes Handeln auf Landesebene wie auch auf kommunaler Ebene, etwa auf städtischen Agrarflächen oder bei Planungen, fehlt aber.“
Der Flächenfraß bzw. die Flächenversiegelung ist neben der Intensivierung der Landwirtschaft und anderen Ursachen ein bedeutsamer Faktor für den Artenschwund und folglich auch ein bedeutendes Handlungsfeld der Volksinitiative. Im mehrjährigen Mittel gehen in NRW Tag für Tag noch immer etwa 12 Hektar Freiraum durch neue Wohn- und Gewerbegebiete, Straßenbau, Tagebau, Kies-Abbau und andere Abgrabungen unwiederbringlich verloren. Um sich die Dimension bewusst zu machen: Dies sind ca. 18 Fußballfelder Fläche pro Tag! Hierfür trägt nicht nur die Landesregierung einen großen Teil der Verantwortung auch die Kommunen haben die Belange von Natur, Tier- und Pflanzenarten, wenn es um konkrete Planungen vor Ort geht, häufig nicht zufriedenstellend im Blick. Mit der Volksinitiative Artenvielfalt NRW will der NABU unter anderem diesem Negativtrend etwas entgegensetzen und lokal wie landesweit den Flächenfraß stoppen.
Auch in Münster ist der Artenschwund deutlich spürbar und es gibt hier eine Menge Ansatzpunkte für einen besseren Artenschutz. Der intensive Wohnungsbau, große Straßenbaumaßnahmen und die intensive Landwirtschaft sorgen dafür, dass immer weniger Freiflächen mit natürlichem Entwicklungspotential zu Verfügung stehen. Der Lebensraum für wildlebende Tier- und Pflanzenarten muss immer neuen Baugebieten und den leider immer noch dazugehörigen Autostellplätzen weichen und wird auf Restflächen zurück gedrängt. Es kommt zu einer immer stärkeren Verinselung von Lebensräumen, da auch geeignete Wanderkorridore fehlen oder überplant werden. Zudem sind geeignete Kompensationsflächen für den Ausgleich von Eingriffen in den Naturhaushalt aufgrund des Nutzungsdrucks nur noch schwer zu finden. Die Durchführung wirksamer Kompensationsmaßnahmen oder besonderer Artenschutzverfügungen ist aufwändig und nicht immer erfolgreich. Und leider ist es selbst auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen, die sich im Eigentum der Stadt Münster befinden, offenbar immer noch nicht möglich, ökologische Landwirtschaft ohne Pestizideinsatz und Kunstdünger dauerhaft zu etablieren.

Es gibt auch konkrete Beispiele für aus Naturschutzsicht misslungene Planungen, schildert Lobmeyer die Erfahrungen des NABU. „Mit dem Bebauungsplan Nr. 509 (Wolbeck – Am Steintor/ Petersheide/ Petersdamm) wurde ein Landlebensraum einer Laubfroschpopulation überplant, obwohl die maßgeblichen Stellen der Verwaltung schon frühzeitig und eindeutig auf den Konflikt im Rahmen des Projektberichts „Ein König sucht sein Reich“ der NABU Naturschutzstation hingewiesen wurde. Geeignete, gesetzlich vorgeschriebene Ausgleichsmaßnahmen wurden nicht bzw. zu spät geschaffen. Das Laubfroschvorkommen ist erloschen. Dabei ist der Laubfrosch eine bedrohte und gemäß Bundesnaturschutzgesetz streng geschützte Art.“
 
Aktuell sei das geplante Neubaugebiet Kötterstraße in Handorf zu betrachten: „Dort soll eine der letzten Ackerflächen in Münster, auf denen Kiebitze in den letzten Jahren (mindestens seit 2015) noch regelmäßig erfolgreich gebrütet haben, bebaut werden. Wir befürchten, dass hier mit den Erschließungsmaßnahmen begonnen wird bevor Kompensationsflächen geschaffen und ihre Wirksamkeit nachgewiesen wurde, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist. So geschah es rückblickend im heutigen Gewerbegebiet Loddenheide, in welchem im Jahr 2003 noch 38 (!) Brutpaare des Kiebitz mit hohem Bruterfolg brüteten und für welche keine nach Größe und Beschaffenheit geeigneten Ausgleichsflächen hergerichtet wurden. Als man feststellte, dass die Vögel das Ersatzhabitat nicht annahmen, konnten diese das angestammte Brutrevier aufgrund fortgeschrittener Baumaßnahmen bereits nicht mehr nutzen.“
 
„Trotz der breiten gesellschaftlichen Diskussionen um den dramatischen Verlust der Artenvielfalt fehlt in Münster leider noch der Handlungswille, ganz konkret das weitere Zurückdrängen der Natur, unserer Lebensgrundlage, auch im Siedlungsbereich zu stoppen. Wir erwarten aber von Verwaltung und Politik die konsequente Beachtung der Natur- und Artenschutzbelange bei jeglichen Planungen“, so Detlef Lobmeyer.