WN vom 26.07.2021

Leserbrief zu „Biodiversität kann man nicht verkaufen“

 

Frau Schulze Bockeloh verteidigt im Interview die konventionelle Landwirtschaft und tritt für ihre Beibehaltung mit kleinen Änderungen ein. Es ist zu begrüßen, dass das Thema Biodiversität angesprochen und Verbesserungen in Aussicht gestellt werden. Bis heute trägt die Landwirtschaft allerdings einen bedeutenden Anteil zur wissenschaftlich belegten und real spürbaren Klima- und Biodiversitätskrise bei. Ein kleiner Auszug: 14 % aller weltweiten Treibhausgasemissionen stammen unmittelbar aus der Landwirtschaft, unter Einbeziehung von Betriebsmitteln (Herstellung von Maschinen, chemischen synthetischen Pestiziden und Düngern usw.) sind es rund doppelt soviel. Der Anteil der intensiven Landwirtschaft z. B. am gravierenden Rückgang von Insekten (deutschlandweit 75 % seit 1989) und Feldvogelarten (in Münster z. B. bei den Indikatorarten Kiebitz und Feldlerche 83 % seit 2003 bzw. 95 % seit 1997) ist nachgewiesen. WN berichtete am 26.02.2021.

 

Eine konsequente Extensivierung der deutschen Landwirtschaft, selbstverständlich bei Honorierung von Umweltmaßnahmen, ist aus ökologischer Sicht alternativlos, wird vom NABU seit Jahren gefordert, wurde aber bisher von der Agrarlobby zugunsten pauschaler, flächenbezogener Zuschüsse verhindert, von denen vornehmlich große Agrarbetriebe profitieren. Münster verfügt über einen im Bundesvergleich äußerst geringen Anteil an Bio-Landwirtschaftsbetrieben, nämlich weniger als 2 % gegenüber rund 8 % bundesweit. Die von verschiedenen Initiativen vorgebrachte Forderung, in Kantinen städtischer Einrichtungen allein ökologisch erzeugte Nahrungsmittel anzubieten, soll den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft in Münster fördern, es soll ein Markt mit fairen Preisen für solche Betriebe geschaffen werden statt im Umwelt, Natur und Klima belastenden Zustand zu verharren. Hier geht es genau darum, Umweltschutz und Biodiversität zu verkaufen. Frau Schulze Bockeloh steht da offensichtlich nicht auf der Seite der Bio-Bauern und der kleinbäuerlichen Betriebe, für die das eine Chance darstellt. Und wenn über Transportwege gesprochen wird, sollten wir solche nicht vergessen, die speziell in der konventionellen Landwirtschaft zu Buche schlagen, z. B. Import von Viehfutter aus Übersee (rund ein Drittel im Bundesdurchschnitt), Transport (und Herstellung) von Pestiziden und chemisch synthetischen Düngern, Verbringung von Gülle auf entfernte Äcker, Export von Fleisch.

 

Auch in Münster gibt es Grundwassermessstellen, an denen Nitratgrenzwerte überschritten werden. Erst nach 20 bis 30 Jahren gelangen Nitrate aus den in den letzten Jahrzehnten ausgebrachten großen Güllemengen in die Grundwasserschichten. Zusätzliche Mastbetriebe wie eine geplante Schweinemastanlage in einem Landschaftsschutzgebiet im Stadtteil Hiltrup für rund 1500 Schweine mit ihren entsprechenden Emissionen lassen für mich nicht erkennen, dass die Landwirtschaft in unserer Stadt auf einem guten Weg ist. Beim Thema Tierwohl bleibt Frau Schulze Bockeloh vage, lässt offen, welcher Viehanteil in Münster in welchen Haltungsstufen untergebracht ist und setzt sich gegen den Widerstand von Bürgerinitiative Emmerbach, BUND und NABU für die geplante Mastanlage in Hiltrup ein, in der Schweine in der niedrigen Haltungsstufe 2 gemästet werden sollen.

 

Klimakrise und Biodversitätskrise, beide eng miteinander verflochten, erfordern aufgrund irreversibler Prozesse sofortiges Handeln. Experten zufolge bleibt dafür dieses Jahrzehnt. Ich stimme Frau Schulze Bockeloh zu, die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft gemeinsam mit Politik, Produzenten und Zivilgesellschaft voranzutreiben. Wir scheinen aber sehr unterschiedliche Zielvorstellungen zu haben. Konstruktive Maßnahmen zu Erhalt und Verbesserung von Natur und Umwelt als Ideologie abzustempeln ist realitätsfremd und unverantwortlich. Schließlich geht es um nicht weniger als die Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen.

 

Detlef Lobmeyer

1. Vorsitzender NABU Münster

Zumsandestraße