
Der Kiebitz (Vanellus vanellus) ist eine Vogelart der Agrarlandschaft mit einer Körperlänge von 28 bis 31 cm. Kiebitze sind Bodenbrüter und brüten bei uns auf Äckern oder Wiesen mit niedriger Vegetation, gern in Kolonien mit bis zu 20 Paaren. In Balzflügen zeigen sie ihre spektakulären Flugkünste genauso wie beim Vertreiben von fliegenden Räubern (z. B. Rabenvögel) während der Jungenaufzucht. Die Vögel ernähren sich vorrangig von Wirbellosen (z. B. Insekten, Würmer), daneben von Sämereien und Wildkräutern. Der Kiebitz steht seit 2015 auf der internationalen Roten Liste der gefährdeten Vogelarten. Der Steckbrief zum Kiebitz liefert weitere Informationen.
Die Vogelart Kiebitz steht stellvertretend für die Lebensgemeinschaft der Pflanzen und Tiere der offenen Agrarlandschaft. Der Rückgang seiner Bestandszahlen offenbart die ökologischen Defizite insgesamt und zeigt auf, wie die intensive Landwirtschaft auch die menschlichen Lebensgrundlagen schädigt und immer mehr vernichtet. In Deutschland ging die Anzahl der Brutpaare seit 1980 um über 90 % zurück. Ergebnisse von Kartierungen des NABU Münster und der NABU-Naturschutzstation Münsterland zeigen die dramatische Bestandsentwicklung der Kiebitze in Münster:


Zur Bestandserhaltung müssen jährlich etwa 0,8 Jungvögel / Brutpaar flügge werden. In den letzten zwei Jahrzehnten war dieser Bruterfolg nur in Ausnahmejahren mit verbreitet wirksamen Schutzmaßnahmen, speziell Feldvogelinseln, und günstigen Lebensbedingungen für den Kiebitznachwuchs, z. B. ausreichend Niederschlag, zu beobachten wie etwa 2021.
Die intensive landwirtschaftliche Nutzung der Offenlandschaft gilt hier als wichtigste Ursache für den Verlust an artenreichen Lebensräumen und den Rückgang zahlreicher Tier- und Pflanzenarten. Gründe sind unter anderem:
- Ein sehr hohes Nährstoffniveau sorgt für die Dominanz weniger hochwüchsiger Pflanzenarten auf Grünländern, Brachen und auch auf Flächen für Schutzmaßnahmen. Kiebitze meiden solche Flächen, sie benötigen Habitate mit niedrigem Bewuchs.
- Die Intensivierung des Ackerbaus mit dichten, schnell wachsenden, oft monotonen Beständen, dazu gehört z. B. der vermehrte Anbau von Wintergetreide mit seinem frühen, hohen Wuchs, macht Flächen für Kiebitze ebenso unattraktiv.
- Der Einsatz von chemisch synthetischen Pestiziden und Düngemitteln reduziert oder vernichtet die Nahrung der Vögel (Wirbellose wie Würmer, Larven, Insekten, aber auch Wildkräuter und deren Samen), vor allem Kiebitzküken finden zu wenig Nahrung in Nestnähe und der Bruterfolg ist in der Folge zu gering.
- Ausgetrocknete Böden, etwa auf Grund der Entwässerung von Agrarflächen (Drainagen) oder längerer Trockenphasen, erschweren oder verhindern das Stochern nach Bodenlebewesen und reduzieren damit ebenso das Nahrungsangebot.
- Der Verlust von extensiv genutztem, strukturreichen Grünland durch intensive Nutzung (häufiges Düngen und Mähen) und Verringerung von Weideflächen zugunsten reiner Mahdwiesen entziehen ebenso die Nahrungsgrundlagen wie die reduzierte strukturelle Vielfalt der Ackerlandschaft durch Beseitigung von naturnahen Kleinstrukturen wie Brachflächen, Ackersäumen, Kleingewässern.
- Das Befahren der Reviere während der Brut- und Aufzuchtzeit vertreibt Jungvögel oder tötet sie direkt.
Zudem werden Lebensräume durch Überbauung und Zerschneidung zerstört. Wir haben über 40 Kiebitzbrutpaare identifiziert, die seit 2013 durch Baumaßnahmen in Verbindung mit ungeeigneten Kompensationsmaßnahmen verloren gegangen sind. Der gemäß Bundesnaturschutzgesetz vorgeschriebenen vorgezogenen Schaffung von Ersatzhabitaten für die Bebauung von Brutgebieten ist die Stadt Münster bis heute ungenügend nachgekommen. Ausgewiesene Kompensationsflächen erwiesen sich sehr häufig als wirkungslos, dort siedelten sich keine Kiebitze an. Im Gewerbegebiet Loddenheide, in 2013 vor der Bebauung Hotspot mit 40 Kiebitzbrutpaaren, brüten heute keine Kiebitze mehr. Für weniger als 10 Brutpaare gibt es wirksame Ausgleichsmaßnahmen. Die vom NABU Münster geforderte Schaffung großer, geeigneter Schutzgebiete für die Kompensation vergangener, aktueller und zukünftiger Bauvorhaben verfolgt die Stadt Münster bis heute nicht.
Weitere Informationen zu Kiebitz und Landwirtschaft: Laut werden für den Kiebitz
Dringend notwendige Schutzmaßnahmen

Einzelne freiwillige, staatlich geförderte Extensivierungen, sogenannter Vertragsnaturschutz, über den Landwirte für Naturschutzmaßnahmen und geringere Erträge entschädigt werden, verbessern Bestandszahlen und Bruterfolge nur unzureichend. Erfahrungen zeigen, dass speziell die Schaffung von Feldvogelinseln auf Flächen mit nassen Stellen zu guten Erfolgen mit verhältnismäßig vielen flüggen Jungvögeln führt. Die NABU Naturschutzstation Münsterland organisiert in Münster und darüber hinaus Schutzmaßnahmen, begleitet und dokumentiert diese wissenschaftlich und entwickelt Empfehlungen für die Schaffung artenreicher Agrarflächen. Sie hat hier weitere Informationen zum Kiebitz und zu seiner Schutzbedürftigkeit im Münsterland zusammengefasst. Fazit: Ohne wirksame Schutzmaßnahmen ist der Kiebitz bei uns im Jahr 2030 wahrscheinlich weitestgehend ausgestorben.
Von 2014 bis 2020 hat der NABU das Förderprojekt Sympathieträger Kiebitz zur Förderung des Kiebitzes in der Agrarlandschaft im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt durchgeführt. Die Ergebnisse des bundesweiten Projekts zeigen deutlich auf, was für den Bestandserhalt des Kiebitzes nötig ist: 70% der Brutpaare müssen durch Schutzmaßnahmen wie feuchte Feldvogelinseln zu einem guten Bruterfolg gebracht werden, also mindestens ein flügges Küken pro Brutpaar hervorbringen. Zusätzlich brauchen Kiebitze „Hotspots“ in der Landschaft, also dauerhaft gesicherte Lebensräume mit renaturiertem Wasser- und Nährstoffniveau, niedrigwüchsiger, lückiger Vegetation und Blänken mit flachem Ufer. Extensive Ganzjahresweidelandschaften können dabei maßgeblich zur Erholung der Insektenbestände beitragen und damit Nahrungsgrundlagen für den Kiebitz und viele weitere insektenfressende Tierarten bilden. Im Thesenpapier Anforderungen an den Schutz des Kiebitzes in Deutschland werden Schutzmaßnahmen im Detail empfohlen.

Forderungen an Politik und Verwaltung
Ziel muss auch für das Stadtgebiet Münster die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes des Lebensraumes und die Wiederherstellung einer stabilen, langfristig sich selbst tragenden Population des Kiebitzes sein. Maßnahmen der Stadt Münster für den Erhalt der verbliebenen Population und die Wiederherstellung ihres günstigen Erhaltungszustandes fehlen trotz entsprechender Forderungen des ehrenamtlichen Naturschutzes und trotz gesetzlicher Kompensations-Verpflichtungen aus der Bebauung von Kiebitzhabitaten.
Von der Stadt Münster fordern wir zielführende Maßnahmen, unter anderem:
- Schaffung großflächiger Hotspots der Biodiversität im Stadtgebiet als Kompensation für die durch Bebauung vernichteten und nicht ausgeglichenen Habitate sowie als Perspektive für die zukünftige Bebauung von Habitaten
- Verpachtung städtischer Agrarflächen nach ökologischen Kriterien (Mitte 2020 von uns und Mitte 2021 vom Rat der Stadt gefordert, seitdem verschleppt)
- Ökologische Aufwertung weiterer potenziell geeigneter Agrarflächen, etwa mit Förderung des regionalen Ökolandbaus durch Ankurbelung der Nachfrage nach Bio-Produkten (z. B. durch Kantinen städtischer Einrichtungen).
Das muss regional und überregional einhergehen mit diversen staatlich gesteuerten und geförderten Maßnahmen zur Rettung und Wiederherstellung artenreicher Lebensräume im Bereich der Offenlandschaft. Dazu gehören unter anderem:
- Schaffung von Vorrangflächen für den Naturschutz, Durchdringung potenzieller Kiebitzhabitate mit Feldvogelinseln
- Schutz der heimischen Tier- und Pflanzenarten durch Extensivierung der Landwirtschaft insgesamt, insbesondere Abkehr vom Einsatz chemisch synthetischer Pestizide und Düngemittel
- Abkehr von der Massentierhaltung zugunsten von Weidetierhaltung und geschlossener Kreislaufwirtschaft ohne Zukauf von Viehfutter
- Wiedervernässung von Agrarflächen durch Verschluss von Drainagen